Viele Gedanken, Eindrücke und festgehaltende Momente. Nun geht das große Abenteuer Auslandssemester also los.
Ich sitze gerade im Flugzeug auf dem Weg nach Athen. Bei Annett in Hamburg stehe ich am Morgen so früh auf, wie schon lange nicht mehr. Zuvor hatten wir noch einen schönen und für mich erstmal letzten gemeinsamen Abend in Deutschland. Nachdem ich fünf Runden durch ihre Wohnung drehe, um zu schauen, ob auch wirklich alles aus und zu ist, geht es für mich los. In der S-Bahn treffe ich auf mehrere Männer, die gemeinsam in den Urlaub fahren. Nur einer von ihnen kennt das Ziel. Den Wodka Shot, den ich angeboten bekomme, lehne ich jedoch ab. Gegenseitig wünschen wir uns einen schönen Aufenthalt. Ich bin nicht sonderlich überrascht, als ich sie nach dem Check-in, bei welchem glücklicherweise nichts zu meinem leichten Übergepäck gesagt wird, am Gate für den Flug nach Malle wiedertreffe.
Nachdem mein Flug sich zu verspäten beginnt, bekomme ich mit, wie eine deutsche Mitreisende Tipps für Athen vergibt, da sie seit einigen Jahren die Stadt ihr zu Hause nennt. Als sie Gespräch beendet, beginne ich mich einzumischen und frage sie, ob ich ihr auch ein paar Fragen stellen dürfe. Weil der Flug fast eine Stunde später losfliegt als gedacht, bleibt uns Zeit, um Gemeinsamkeiten zu entdecken und von ihr Ratschläge zu bekommen. Sie ist im Alter meiner Mama, ich im Alter ihrer Tochter. Wir teilen ähnliche Wunschdestinationen und verstehen uns gut. Kurz vor Abflug bietet sie mir noch ihre Nummer an und meint, ruf gerne an, wenn irgendwas sein sollte.
Nun sitze ich also im Flieger, genieße meine kostenlose Apfelschorle und bin gespannt, was mich in ein paar Stunden erwarten wird. Bestimmt wird es heiß. Selbst im Flugzeug, in welchem so oft die eisige Klimaanlage allen eine Erkältung beschafft, ist es warm.
Nebenbei beginne ich mein neues Buch zu lesen. Es geht dabei um das Alleinsein und startet mit der Beschreibung des ersten Solo Trips der Autorin. Wie das Schicksal so oft möchte, ging der eine Trip nach Edinburgh (Jonas bald bist du auch da!), wo sie ein Bastille Konzert besuchte und der nächste Trip nach Aarhus. Das Konzert der britischen Band sowie die dänische Stadt gehörten auch zu meinem diesjährigen August. Auch wenn ich dort nicht allein war, doch das Abenteuer steht mir ja jetzt bevor.
Innerlich bin ich tatsächlich sehr ruhig. Ich hoffe nur, dass ich Athen mit meinen zwei schweren Koffern schnell zurecht komme. Angekommen im heißen, aber durch die Nachmittagssonne angenehmen, Athen, fühle ich mich wirklich wie ein Touri. Um mich herum nur noch mehr ratlose Gesichter. Auch nachdem ich dreimal frage, wie ich zum richtigen Gleis komme, irritiert es dennoch, wenn auf einmal eine orangene Metro als M3, die sich eigentlich durch die Farbe blau kennzeichnet, auftaucht.
Ich traue mich dennoch einzusteigen, natürlich nicht ohne noch mehrmals nachzufragen, und während ich hier meine Gedanken weiter runterschreibe, kommt ein ca neunjähriges Mädchen von hinten und spielt uns etwas auf ihrem Akkordeon vor. Außerdem bekomme ich eine Nachricht von der sympathischen Frau, die mir zuvor ihre Nummer gab. Sie schreibt, falls ich mal was brauchen sollte, möchte ich mich bitte einfach melden.
In hoffentlich 45 min wird mich einer meiner beiden männlichen Mitbewohner in meiner neuen Wohnung empfangen. Nach der Metro heißt es aber noch; Taxi finden. Nachdem ich die beiden Koffer mehrere Treppen hochwuchte, steht eins bereit. Als ich die Adresse sage und auch zeige, sagt mir der Mann, er habe keine Brille auf. Mal sehen wo diese Reise noch hin geht. Doch tatsächlich schaffen wir es, auch wenn er schamlos meine Anreise ausnutzt und doppelt so viel des Fahrpreises verlangt. Unten werde ich von meinem neuen griechischen Mitbewohner begrüßt und seiner Freundin. Sie machen beide einen sehr sympathischen Eindruck.
Mittlerweile liege ich im Bett, neben mir kratzt eine Katze an die Zimmertür meines griechischen Mitbewohners, die AC ist im Eco Modus an, ob das Klopapier, was ich mir eben gekauft habe, in die Toilette darf oder nicht, habe ich noch nicht herausgefunden. Doch das ist ein Problem von morgen. Für heute war nur ein kleiner Einkauf noch wichtig. Am empfohlenen Supermarkt bin ich natürlich auch erstmal vorbeigelaufen.
Nächster Tag. Ich muss noch lernen, welche Einstellung meine Klimaanlage benötigt, damit ich demnächst durchschlafen kann. Und ich bin sehr froh, über meine Ohrenstöpsel. Die bewirken Wunder (das merke ich jede Nacht aufs Neue). Die Klopapierfrage hat sich erledigt, gehört nämlich, wie fast überall in Athen, nicht in die Rohre! Für den ersten Tag nehme ich mir vor, ein bisschen was von der näheren Umgebung zu sehen, einmal zur Akropolis zu gehen und noch ein paar Sachen für die Wohnung zu kaufen. Insbesondere für die Küche. Unter „well equipped“ hab ich mir etwas anderes vorgestellt.
Also starte ich. Sehr begeistert bin ich von der Empfehlung eines Cafés von der Schwester meiner Nachbarin in Lüneburg. Ich bekomme tatsächlich einen Iced Oat Latte! Wirklich! Nur auf dem Weg dorthin denke ich kurz, ich werde es nicht schaffen. Zuerst muss ich einer Autotür schnell ausweichen und ich stehe kurz vor einem Taubenangriff. Naja, vielleicht ist die Taube auch alt und hat den Abstand nicht so gut beim Landen abschätzen können. Ich denke an Anne, ihr würde es hier mit all den Tauben sicherlich gefallen. Abgelenkt werde ich aber von dem Fakt, dass es hier Marks & Spencer gibt. Ich liebe den Shop aus Großbritannien. Sogar meine Lieblingskekse gibt es.
Mein Vermieter, den ich bisher nur telefonisch kennengelernt habe ist irgendwie süß. Er hat meine Nummer an ein Mädchen weitergeleitet, die über uns wohnt und auch aus Deutschland kommt. Er hat jedoch, wie einer meiner Mitbewohner meinte, zwei “orange flags”. Manchmal steht er wohl einfach in der Wohnung, wenn es was zu tun gibt, ohne sich anzukündigen und er besteht darauf Dr Callifronas genannt zu werden. Aber um mich kümmert er sich sehr gut. Mal schauen, wie lange noch. Ich hab es doch tatsächlich nach 24h geschafft, die Toploader Waschmaschine kaputt zu machen. Ich wollte doch nur mein Laken waschen. Aber Constantine, mein griechischer Roomie ist sehr verständnisvoll. Schade, dass er nur einen Monat noch bleibt. Gabriel, der andere aus El Salvador, ist hingegen sehr schweigsam und lebt zurückgezogen. Man möge mir bitte erklären, wie man es in seinem Zimmer den ganzen Tag aushält, denn von dortaus macht er Homeoffice. Sein Bett ist eine Schlafcouch! Wir sind also bisher eine Zweck-WG. Vielleicht ändert sich das noch, wenn in einem Monat die neue Mitbewohnerin einzieht.
Reden wir von schönen Dingen. Ich bekomme am zweiten Abend eine tolle Tour von meinem Erasmus Buddy. Er kann mir einen wirklichen guten Einblick geben und erklärt mir vieles. Er ist Pole, seit einem Jahr hier und macht ein Praktikum bei Erasmus Life Athens. Tine, ich hab ihm erzählt, dass du mir ein paar Wörter Polnisch beigebracht hast! Wir verstehen uns gut und am Ende schlägt er mir sogar vor, gemeinsam zum Strand zu fahren am nächsten Tag. Doch ich beschließe mich alleine auf den Weg zu machen. Ich hab Lust zu lesen und zu schwimmen und nachzudenken. Ablenkung wäre bestimmt auch schön, aber irgendwie wollte ich gerne so schnell wie möglich aus der Stadt raus. Also bin ich nun in der Metro, die mich zum Mittelmeer führt. Habe große Erwartungen, eine Abkühlung durchs Wasser zu bekommen. Angekommen an der Bushaltestelle, die mich zum Strand bringen soll, ist alles nicht ganz so, wie Google es mir doch aber vorschlägt. Hm, dann muss ich also doch fragen. Und das zu meinem Glück. Tatsächlich lerne ich eine sehr hilfsbereite Albanierin, etwa in meinem Alter, kennen. Sie erzählt mir, dass sie genau an meinem Ziel als Köchin arbeitet und ich sie gerne begleiten könne. Jeden Tag fährt sie ans Meer, egal ob sie arbeiten muss oder nicht. Sie gibt mir viele Tipps worauf ich achten sollte, welche Orte gut sind und lädt mich sogar auf einen Freddo Espresso ein. Nachdem wir unsere Kontaktdaten ausgetauscht haben, verabschieden wir uns. Ich suche mir also einen schönen Platz am langen Strand der zum Mittelmeer führt. Ich frage eine mittelalte Griechin, ob sie auf meine Sachen aufpasst, während ich mich schnell abkühlen. Sie nickt. Als ich wiederkomme unterhalten wir uns immer mal wieder und legen Lese- oder Badepausen ein. Sie gibt sich sehr Mühe mit ihrem Englisch und freut sich, mal wieder etwas ihre Vokabeln zu nutzen, das merkt man ihr an.
Lustig ist nur, egal wen ich frage, die Menschen sind sehr gespalten, wie warm es November bis Februar ist. Ich hörte bisher, Februar und März sei es am kältesten. Außerdem bekam ich die Aussage, ich war bis Anfang Februar und ab Ende März schwimmen. Wieder andere waren sich uneinig, ob es im November eigentlich warm oder kalt ist. Also eine Überraschung! Ganz erschöpft vom Tag, falle ich abends ins Bett, nachdem ich das Badezimmer einer kurzen, aber notwendigen Putzroutine unterzogen habe.
Es ist Sonntag und Athen heißt es also, ähnlich wie in Deutschland, Ruhe- und Familientag. Nur wenige Geschäfte haben geöffnet und diese sind besonders in den touristischen Zentren. Dennoch ist es mir möglich eine personalisierte Athena Travel Card anfertigen zu lassen. Ohne große Vorwahrnung hält die Frau die Kamera auf mich und zack wunderschönes Foto auf der neuen Karte. Yay, also geht es weiter nach Monastiraki für mich. Dort ist es gerade am Sonntag recht belebt und überall werden alte Dinge verkauft. Souvenirs gibt es ebenso an allen Ecken. Man muss nur wissen, dass sie auf dem Flea Market teilweise ein paar Euro teurer sind. Am Nachmittag hab ich meine erste Bumble Friends Verabredung. Sie ist tatsächlich die erste deutsche Person, die ich hier treffe. Als ich abends wiederkomme, stelle ich fest, mein Mitbewohner Gabriel existiert noch. Er verbringt tatsächlich sehr viel Zeit in seinem Zimmer. Allgemein ist er ein sehr interessanter Mensch. In Folge meines mangelnden Talents im Umgang mit Waschmaschinen, kommt am nächsten Tag ein Monteur. Dienstag klingelt er. Doch Gabriel kann ihm nicht aufmachen, obwohl er doch im Homeoffice ist. Okay, neuer Versuch am nächsten Tag. Ich schreibe, dass ich das Haus um 11:30 verlasse, und ob er ihm aufmachen könnte, falls er später kommt. Gabriel denkt nun, ich ziehe aus dem Apartment aus. Das wird bestimmt nicht die letzte Story mit ihm sein…
Am Montag ging jedoch zuvor das Praktikum los! Angekommen in Kypseli, treffe ich auf meine Mentorin, Danai. Sie ist ein sehr herzlicher Mensch und der Einstieg ist, dank ihr und der derzeitigen Praktikantin Amalia, ganz leicht. Ich bin zuversichtlich, dass wir ein tolles Team werden.
Überrascht werde ich dennoch von der Managerin des Gebäudes, welches ein „Community Centre“ ist. Sie will mir nicht glauben, dass ich Deutsche bin. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich geschmeichelt fühle oder doch etwas angegriffen. Am nächsten Tag fragt sie mich sogar, ob ich nicht mediterrane Wurzeln habe. Weil ich so viel lächle und aufgeschlossen bin. Sie berichtet mir einige Tage später, dass sie irgenwann aufgehört hat, deutsche Freiwillige in ihr Programm aufzunehmen. Alle haben am Ende keine gute Zeit gehabt, meint sie. Ich bin amüsiert von ihren Aussagen. Glücklicherweise mag sie mich, was das Ein- und Ausgehen des Büros vereinfacht. Sie bewacht nämlich alles. Belustigt von ihren Aussagen frage ich Danai, wie griechisch ich aussehe. Sie meint, durch meine eher dunklen Augen, könnte ich tatsächlich auch als Griechin durchgehen. Das bestärkt mich, ab jetzt werde ich von keinen Taxifahrern mehr abgezogen. Erst recht nicht, da ich nun freenow hab.
Nun lebe ich also seit ein paar Tagen in Athen und reflektiere, was so alles passiert ist. Draußen gewittert es und an meinem Schreibtisch hab ich die Lampe angemacht, obwohl es kurz vor 11 Uhr (morgens!) ist. Schon alles ein bisschen verrückt. Als ich nachmittags aus dem Büro schaue, denke ich, ich sehe nicht richtig, als das Wasser wie ein Fluss an uns vorbeizieht und die Menschen knietief im Wasser stehen. Am Abend gewitterterte es tatsächlich so stark, dass ich mir sicher bin, Athen bricht zusammen. Genau an diesem Abend treten tatsächlich auch Imagine Dragons im Olympiastadion auf. Wie unvorhersehbar für alle. Einfach ein Konzert im Gewitter in Athen. Hingegen nicht überraschend ist, dass mein Mitbewohner Gabriel die Band nicht kennt. Aber hey, die Waschmaschine funktioniert wieder, yay! Weil ich ja wusste, dass ich noch ein paar Stories über ihn erzählen werde können, widmen wir uns dem jetzt. Ich war schon ganz begeistert, weil in seinem Kühlschrankfach Hafer- und Kokosmilch lag. Ich fragte ihn, ob er gerne vegane Milch einkaufe. Seine Antwort war, er mag jede Milch und wechselt gerne ab. Mal ist es Hafer, mal Kuh, mal Ziege… ah ja. Tatsächlich habe ich uns aber ein kleines WG-Leben antrainiert. Immer wenn ich nach Hause komme, rufe ich HEYY!. Ja, richtig schön nervig, aber dann wissen die beiden, ich bin wieder da. Unsere Türen sind nämlich ansonsten immer geschlossen und manchmal vergeht auch ein Tag, ohne dass ich irgendwen sehe. ABER seit zwei Tagen macht Gabriel nach meinem HEYY! tatsächlich seine Zimmertür auf und fragt mich, wie mein Tag war. Ich kann es gar nicht glauben. Und irgendwie stelle ich leider oft fest, dass er mir etwas erzählt, ich aber etwas anderes darüber gehört habe und er daraufhin antwortet; Oh nein. Dann haben mich meine Arbeitskollegen angelogen. Am Anfang dachte ich, dass wäre nur ein Witz, aber je öfter es vorkommt, desto mehr Gedanken mache ich mir um ihn. Ich will gerade schreiben, so viel Forschritt in nur einer Woche. Wer weiß, vielleicht fahren wir demnächst zusammen in den Urlaub! Aber tatsächlich schickt er mir in diesem Moment einen Standort von dem Tagestrip, den er am Sonntag mit seinen Kollegen unternehmen wird und fragt mich, ob ich mitkommen mag. Hm, vielleicht ist der Urlaub doch gar nicht so unrealtisch?
Mittlerweile ist mein Umzug nach Athen eine Woche her. Tatsächlich fühlt sich alles langsam recht vertraut an, doch die ersten paar Tage war es ganz das Gegenteil. Athen und Griechenland sind zwar Europa, aber nochmal sehr anders als viele der Nachbarländer Deutschlands. Was ist alles so zu beachten gibt, habe ich tatsächlich in einem anderen Eintrag zusammengefasst und wird sich bestimmt noch weiter wachsen. Doch einiges ist schon sehr vertraut. Den Weg zur Arbeit muss ich nicht mehr auf Maps nachschauen, seit Tag zwei Grüßen sich der Verkäufer an der Ecke und ich uns auch, dass der Flur stickig ist und nach Menthol riecht, ist auch ganz normal und damit dass es regnet, hab ich mich auch abgefunden.
Ich freue mich hingegen sehr, dass ich auf Arbeit so herzliche Menschen kennenlernen durfte und ich hier schönes Wetter genießen kann!
Ich vermisse euch und freue mich über jede eurer Nachrichten!
Vivi 🙂